Historische Sielbauwerke in Ostfriesland-Friesland
Mögliche Szenarien der Zukunft: Komplette Abdämmung der Nordsee zum " Binnenmeer " Auszug aus der Ostfriesen Zeitung vom 19. Februar 2020 / Quelle : Hochwasser in Greetsiel- Ostfriesischer Kurier vom 09.01.2023 ( Doppelklick zum Text ).
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Das alte Ostfriesland mit Buchten, ehemaligen nacheiszeitlichen Binnengewässern, die großen natürlichen Entwässerungstiefs, erste Sielorte und die vorgelagerten Eilande
Die ostfriesische Küstenlinie war nicht immer so gradlinig eingedeicht, wie sie sich heute darstellt.
Die gesamte ostfriesische Küste war mit Buchten versehen und gliederte den Marschengürtel in halbinselartige Gebilde.
Einige Meereseinbrüche, wie die Bucht von Sielmöken, hatten um 800 n.Ch. ihre größte Ausdehnung, andere Buchten, wie die Leybucht dagegen erst um 1500 n. Ch.
Die holozänen Ablagerungen ( Marsch ) in den ersten Jahrhunderten nach Chr. führten dazu, dass der Marschenküstengürtel nur noch bei Flut überschwemmt wurde. Gleichzeitig erfolgte damit eine Besiedlung der Marschgebiete; im 7. und 8. Jh. nach Chr. beschleunigte sich der Besiedlungsprozess durch die Friesen. Zunächst noch auf einfachen Erdhügeln, später dann auf zunehmend befestigten Wurten schufen sich die Küstenbewohner halbwegs sichere Wohnanlagen.
Durch die ständige Erweiterung und Erhöhung der Einzelwurten entstanden die ersten zusammenhängenden Dorfwarften.
Um 1000 n. Chr. entstanden die ersten Deiche, um die landwirtschaftlichen Flächen vor der ständigen Überflutung zu schützen. Durch die Zusammenführung einzelner, isolierter Ringdeichabschnitte um 1200/1300 n.Chr. entstand der erste zusammenhängende Deichbereich an der ostfriesischen Küste.
Mit der nun erfolgten Eindeichung der Binnenlandflächen musste auch das Problem der Entwässerung gelöst werden. Einerseits musste das überschüssige Binnenwasser, oft lag das Land unter dem Meeresspiegel, wieder dem Meer zugeführt werden. Anderseits bestand die Notwendigkeit, dass Land vor der Meeresflut zu schützen.
Noch bis ins hohe Mittelalter flossen die Tiefs direkt ins Meer ab und entwässerten auf den natürlichen Weg das Land. Bei Flut drang dann das salzige Seewasser wiederum weit ins Marschenland ein.
Verschließbare Deichdurchlässe, sogenannte Klappsiele aus Holz ( Baumsiele) sind ab 1200 n.Chr. nachweisbar; wahrscheinlich wurde dieses Sieltypus aber schon früher verwendet.
Der Abgleich beider Karten (Karte oben - noch vor 1000 n.Chr. und vor dem Deichbau und der Karte unten- Coastal Risk Screening 2018 ) zeigt in etwa die gleichen Überflutungsgebiete. Die pleistozänen Sandgebiete, die plaziale entstandene Geest- Karte oben, gestreiftes Gebiet, liegen höher. Die roten Gefahrengebiete sind größtensteils die holozänen Marschgebiete an der Küste und liegen tiefer.
Geografisch gesehen sind die möglichen Überflutungsgebiete bei einem Meeresspiegelanstieg vergleichbar mit der historischen Situation vor über 1000 Jahren. Damals begann die früheste Entwicklung in der Sielgeschichte mit dem Schlicker Siel ( siehe Detail 5 ) , deren mögliche Entstehung mit dem Datum 970 n.Chr. in Zusammenhang gebracht wird.
Definition : Siel: Ein Siel ist ein Deichverschluss und diente anfangs ausschließlich der Entwässerung des Binnenlandes und schützte das Binnenland gleichzeitig vor Hochwasser bei auflaufenden Wasser ( Flut ).
Schleuse: Eine Schleuse dient der Schifffahrt die Wasserpegelstände zwischen Meer und Innenlandgewässer auszugleichen.
Kombinierte Siel - u. Schleusenanlagen: Errichtung verstärkt im 20. Jh.
Alte Klappsiele
Anfangs dienten auch ausgeschlagene Baumstämme als Sielabfluss. Es folgte eine Weiterentwicklung aus rechteckigen Holzkonstruktionen mit verschließbaren Klappen. Baumsiele und Klappsiele wurden auch als " Höhlen " bezeichnet. Eine Querbalken am oberen Außensielverschluss diente zur Aufhängung der Sielklappe.
Kleine Zug-u. Hebesiele
Noch heute sind kleine Zug-u. Hebesiele in Betrieb. Oft Zur Entwässerung und Regulierung des Wasserstandes von kleinen Tiefs und Gäben. Das Konstruktionsprinzip ist ähnlich wie bei den frühen Kippsielen. Das Dichtungsschott ( das kleine Sieltor ) wird jedoch per Hand in die richtige Stellung gebracht. Vereinzelt ist ein Zugseil montiert und die Regulierung wird über den Wasserdruck geregelt.
( Quelle: Der Jadebusen, H. Egidius, Oldenburg 2011 )
Schlickpumpen
Besonders im Emsbereich wurden hölzerne Schlickpumpen eingesetzt. Aber auch in der Krummhörn sind sie bis Anfang des 19.Jh. im Einsatz gewesen. Nachgewiesen sind Schlickpumpen in Gandersum und Rorichum ( um 1770 ). Die Pumpe führte durch den Fuß des Deiches und hatte Fluttüren oder auch Flutklappen. Die Loquarder Schlickpumpe bestand aus Eichenbohlen und war 126 Fuß lang ( ca. 33 mtr. ). Die Pumpachten, eine Art Zweckverband, wie die Sielachten, unterhielten dieses Schlickpumpen ( Die Acht u. ihre 7 Siele, Band 1 , Seite 67).
Auch das Karmersiel ( Carmersiel ) beim Leeshaus, am Deich bei Hamswehrum, bestand aus einer Schlickpumpe und das bereits seit 1667. Erst 1832 wurde diese Einrichtung abgebaut und geschlossen ( Anm.1 )
Pumpsiele
Ähnlich wie die Schlickpumpen wurden die Pumpsiele durch den Deich gelegt. "Die außendeichs mit einer Klappe verschließbaren, sich selbständig betätigenden Abflusseinrichtungen wurden im Laufe der Zeit vergrößert und erhielten horizontal drehbare Türflügel, die sich ebenfalls automatisch durch die Bewegung des Wassers öffnen und schließen ließen " (Die Acht und ihre 7 Siele, Bd. 1, Seite 38 )
Verlaate
Oft wurden Dämme angelegt, um das Außenwasser nicht in tiefere Lagen einfließen zu lassen. Innerhalb dieser Dämme im Binnenland wurden Staueinrichtungen angelegt, die sogenannten die Verlaate. Die Verlaate, oft mit einem Schieberegulator oder Schiebeschott ausgestattet, regulierten den dann kontrollierten Wasserstand. Daraus entwickelten sich später die Stauwehre.
Hebersiele
Hebersiele wurden besonders in den Jahren 1910 -1930 eingerichtet. Hebersiele funktionieren ohne Mechanik und Strom, sondern mit einem Luftdruckverfahren. Auf der einen Seite des Deiches ist eine Luftkammer installiert. Ein breites Rohr verläuft durch den Deich und führt durch das Luftdruckverfahren das Entwässerungswasser dann in die See ab. Das einzige Hebersiel in Ostfriesland war in Dornumersiel installiert.
Hebersiel: Querschnitt und Lage. Bild rechts: Luftkammer eines Hebersiels
Holztorsiele
Ab ca.1450-1500 sind vermehrt größere Holzsiele zu verzeichnen. In den Niederlanden sind ab dem 12.-13. Jh. schon Holzsielwerke belegt. Neueindeichungen und die Zusammenlegung von kleinen Tiefs zu größeren Sieltiefs beschleunigt sich zunehmend. Die einfachen Klappsiele konnten diese Entwässerungsanforderung und den Hochwasserschutz nicht mehr gewährleisten.
Anfangs stand die Binnenentwässerung und der Hochwasserschutz im Vordergrund. Somit entstanden einfache Holzsiele mit einem Flut-u. einem Ebbetor.
Ein mittleres weiteres Sturmtor verstärkte dann zunehmend den Sielbau.
Gliederung eines Holzsiels:
> das Außensiel mit dem Fluttor. Schließung bei Hochwasser
>den i.d.R. rechteckligen Sieltunnel mit dem Sturmtor zur Entlastung
der Fluttore
>das Binnensiel mit dem Ebbetor. Die Schließung des Binnentores
verhinderte auch den zu starken Abfluss des Binnenwassers.
Die Gesamtläge der Sielanlage betrug ca. 25-30 mtr. ; der Sieltunnel war ca. 4-5 mtr. breit und 3-4 mtr. hoch.
Von jetzt ab wird der eigentliche Sielverschluss vertikal konstruiert.
Die Stemmtore ( Sieltore ) werden, wie Türen, vertikal eingehängt. Die schweren und großen "Holzsieltüren" öffneten sich bei ablaufenden Wasser um die Binnenentwässerung zu gewähleisten. Bei Flut drängte das Außenwasser gegen die Sieltore und verschloss somit das Siel.
Passgenau treffen beide Sieltore bei der Schließung zusammen. Der enorme Wassserdruck wird abgeleitet von den Sieltoren in die Widerlager der Sieltoraufhängung. Am Boden des Siels verriegelt das Drempeldreieck der Schlagschwellen die Anlage.
Besonderes Augenmerk hatten die Sielbaumeister auf die Leichgängigkeit der Tore. Die schweren Holzsieltüren waren oberhalb an ihrer Drehachse, auch Harrelposten genannt, mit Eisenbandverschlägen befestigt. Unterhalb war der Drehmechanismus ( Pfropfen) mit eine Metallhaube eingefasst. Dieser Pfropfen lagerte in einer gusseiserne " Pfanne " ( zuvor auch Kupfer ) und war somit reibungsfrei und gut beweglich. Auch der Einsatz von Bongossivholz (Tropenholz ) zwischen Pfanne und Pfropfen als Kugellager ist bekannt.
Massives Steingewölbesiel
Ab Mitte des 18. Jh. wurden die Holzsielanlagen durch Steinsiele ersetzt. Das Holz kam oft über Importwege aus Skandinavien, Mitteldeutschland und über Stapelplätze aus den Niederlanden. Somit ein sehr kostenintensives Produkt.
1744 ordnete Friedrich der Große, Ostfriesland gehörte ab 1744 zu Preußen, in einer Kabinetts-Order an, dass ab sofort der Steinsielbau gefördert wird. Anfangs kam das Baumaterial noch von den ostfriesischen Schlössern und Festungen, die von jetzt ab für Friedrich den Großen keine Bedeutung mehr hatten.
Grundsätzlich wurden Steinsielanlagen in ihrer Planung größer konzipiert. Größere Sielanlagen ermöglichten auch ein Steigerung der Sielkapazität (Entwässerungskapazität ) und führte zu Zusammenlegungen von Einzelsielstandorten zu Hauptsielstandorten.
Die Funktion der Siele gleicht dem Prinzip der früheren Holzsiele. Der Sieltunnel ist von jetzt ab oft als halbrundes Gewölbe gestaltet.
Funktionsprinzip:
> Außen die Holzstemmtore ( Sieltore ), die bei Flut schließen.
> Im Sieltunnel das Sturmtor
> im Binnensiel das Ebbetor ( offen bei ablaufendem Wasser )
Funktionsprinzip: Gewölbe-Steinsiel
An der ostfriesisch-friesischen Küste sind unterschiedliche Sielbautypen entstanden. Oft abhängig von sturmflutbedrohten Deichabschnitten oder lokalen Bedingungen.
Je nach Bautyp sind die Sturmtore entweder in der Mitte oder außerhalb des Tunnels angebracht. Oft hatten Siele aber keine zusätzlichen Sturmtorvorrichtungen. Kleine Öffnungen in Form von Schiebern in den Sieltoren unterstützen die Feinregulierung des Wasserbestandes. Auch angebrachtes Seil-oder Tauwerk an den Sieltoren diente zur Feinabstimmung des Sielvorganges.
Das Sielaußenwerk ist i.d.R. aus Ziegelsteinen aufgemauert. Oft kommt auch Sandstein als Eckverbindung oder Formstein zum Einsatz. Der obere Sielbogen ist oft mit Inschriften bestückt und weist auf Gründungsdaten und Erbauer ( Sielachten / Deichachten ) hin. Profil-Frontsicht auf ein Siel:
Ab den Nachkriegsjahren, in einigen Fällen aber auch schon früher, übernahmen maschinenbetriebene Schöpfwerke die Entwässerung des Binnenlandes.
Heute sind leider nur noch wenige Siele erhalten. Sehenswert sind u.a. die erhaltenen Siele von Esklum, Weekeborg, Filsum, Petkum, Dyksterhusen, Greetsiel, Nessmersiel, Hooksiel und Termunterzijl ( NL ).
Oft sind noch Teile oder Fragmente von Sielanlagen erhalten. Spannend ist daher auch die kulturgeschichtliche Spurensuche nach verborgenen Sielstandorten.
(Anm.1 Bei der Schlickpumpe Loquard und das Carmersiel, beide örtlich dicht zusammenliegend, wird es sich wahrscheinlich um nur eine Einrichtung handeln ).
Sturmflutzerstörtes Sielbauwerk ( Darstellung )